Beobachtungen im historischen Kontext

Die Beobachtung ist eine Methode der empirischen Sozialforschung, mit der systematisch Daten erhoben werden.
Frühformen der institutionalisierten Datenerhebung wurden bereits in der Antike durchgeführt und dienten ausschließlich administrativen Zwecken wie der Steuererhebung und der Rekrutierung wehrfähiger Männer.

Unterrichtsbeobachtung - Alexander HumboldtErst in der Renaissance und der Zeit der Aufklärung wurde Daten im weitesten Sinne zur Sozialforschung herangezogen. Dabei wurden Geburten- und Sterbezahlen verglichen und uneheliche Geburten, Ehescheidungen und Selbstmorde ausgewertet. Diesen Studien lagen vorrangig politische und wirtschaftliche Interessen zugrunde.

Bis ins 19. Jahrhundert war üblich, dass Ethnologen von ihren Reisen nicht nur exotisch anmutende Objekte oder Pflanzen mitbrachten, sondern auch Reiseberichte. Diese zumeist sehr detaillierten Aufzeichnungen ihrer Beobachtungen waren die Anfänge der ethnologischen Feldforschung und basierten auf teilnehmenden Beobachtungen.

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die damit einhergehende massive Zuwanderung in die Städte brachte große soziale Veränderungen mit sich. Statistische Erhebungen und „Beobachtungen vor Ort“ sollten den politisch Verantwortlichen ein genaueres Bild der sozialen Probleme vermitteln.

Unterrichtsbeobachtung - Geschichte: Lizzie BurnsVon persönlichen Motiven war Friedrich Engels geleitet, als er 1844/45 die Studie „Erhebung zu den Lebenslagen der armen Bevölkerungsschichten in England“ verfasste. Von seinem Vater nach England geschickt, um dort in dessen Baumwollfabriken seine kaufmännische Ausbildung zu vollenden, lernte Friedrich Engels die irische Arbeiterin Lizzie Burns kennen und lieben. In der mehrere hundert Seiten langen Schrift beschreibt er die Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen zwischen London und Edinburgh.

Der deutsche Theologe Paul Göhre veröffentlichte 1891 die Studie „Drei Monate als Fabrikarbeiter und Handwerksbursche“. Er dokumentierte anhand von Beobachtungen die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen in den Fabriken. Die Schrift wurde ein Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt.

Unterrichtsbeobachtung - Marienthal StudieAm Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurden erstmals theoretische Überlegungen und systematische Beobachtungen in Verbindung gebracht. Dem neuen Grundgedanken folgend, begannen 1931 die Feldforschungen zur „Marienthalstudie“. Die Forscher sollten das Problem der Arbeitslosigkeit und den daraus resultierenden sozialpsychologischen Tatbestand umfassend und objektiv darstellen. Sie benützten bei ihren Feldforschungen eine Kombination von unterschiedlichen Techniken, unter anderem auch teilnehmende Beobachtungen.

Parallel zu den Entwicklungen der empirischen Sozialforschung in Europa kam es in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in den USA - vor allem an der Universität von Chicago - zu einem neuen Beobachtungsansatz. Der mikrosoziologische Forschungsansatz stellt das Individuum in den Mittelpunkt des Interesses.

Unterrichtsbeobachtung - Street Corner Society, William Foote WhyteEine der bekanntesten Untersuchungen der „Chicagoer Schule“ ist die von William F. Whyte durchgeführte „Street Corner Studie“. Der Autor lebte dafür mehrere Jahre im, als unsicher geltenden, Bostoner Stadtteil North-End. Als teilnehmender Beobachter beschrieb er die Gruppenprozesse, die sozialen Hierarchien und die Regeln und Normen des Milieus.

Im Bereich der Pädagogik leisteten Peter Petersen und seine Frau Else Müller Petersen Pionierarbeit. Sie entwickelten Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die pädagogische Tatsachenforschung. Ziel dieser Forschungsrichtung ist die Beantwortung praktischer pädagogischer Fragen. Konkrete Probleme des schulischen Alltags sind der Ausgangspunkt der Beobachtungen.

Seit Mitte der sechziger Jahre hat die Anzahl empirischer Untersuchungen im Bildungsbereich stark zugenommen.

Unterrichtsbeobachtung:  Peter Petersen

 

 

Stichwörter: 
Unterrichtsbeobachtung, Wahrnehmung, guter Unterricht, Beratung, Beobachtungsmodell, Schule, Qualitätssteigerung, Feedback, Störungen, Kommunikation
Autoren: 
Dr. Claudia Otratowitz
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